Die westlichen Museen werden von ihrem imperialen Erbe eingeholt. Debatten um Raubkunst stehen im Zentrum des öffentlichen Interesses. Die lang geforderte Rückgabe von Objekten wie den Benin-Bronzen ist ein erster wichtiger Schritt hin zu Austausch und Kooperation mit nicht-westlichen Akteur:innen und Institutionen.
Allein mit der Restitution ist die Sache aber nicht getan. Imperiales Erbe – Jahrhunderte der Gewalt und Ausbeutung, der Zerstörung und Aneignung von Ressourcen aller Art – nistet in jeder Ritze der steinernen Museumskolosse in London, Paris, Wien, Berlin oder New York. Daher steht als nächster Schritt die museologische Praxis im Ganzen auf dem Prüfstand: Wer sammelt und klassifiziert, und nach welchen Kriterien? Welcher Art ist die Ordnung, auf die sich das Museum gründet? Wer beforscht was und mit welchem intellektuellen Instrumentarium? Welche Bedeutung haben Formen des Zeigens (von der Vitrine bis zum White Cube)? Was genau vermittelt die „Vermittlung“?

„Mobile Welten“ war zunächst ein Forschungs- und Ausstellungsprojekt zweier Museen und zweier Universitäten: dem Museum für Kunst und Gewerbe in Hamburg und dem Johann Jacobs Museum in Zürich, der Universität Viadrina (Frankfurt / Oder) und der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt am Main. Das Projekt ging folgenden Fragen nach:

Erstens, ob eine andere Museumsordnung vorstellbar ist. Eine Ordnung, die sich an Objekten orientiert, die weder unter „Asien“, „Europa“ oder „Afrika“ fallen, die weder „modern“ noch „antik“ sind, die aber auch nicht umstandslos der „Natur“, der „Kunst“ oder dem „Kunsthandwerk“ zugeschlagen werden können. Objekte also, die vieles sind oder nichts davon, die nicht so recht in die bestehenden Abteilungen passen (und daher häufig ins Depot wandern).
Anders als es scheinen mag, bilden solche Objekte keine Minderheit. Es gibt viele Knotenpunkte transkultureller Verflechtungen – Objekte, die von Handel, Reisen, Migration, Kriegen und Kolonialismus erzählen. Objekte, die bezeugen oder erahnen lassen, dass Europas Reichtum und Kulturschätze kaum denkbar wären ohne das Kapital, das in anderen Teilen der Welt erwirtschaftet wurde. Und dass es keine Moderne ohne Kautschuk, Kaffee, Rohöl, Opium und Versklavung gäbe.

Die zweite, damit verbundene Frage gilt dem zeitgenössischen Publikum. Akteur:innen der postmigrantischen Gesellschaft, so die Vermutung, können der Museumsfiktion von „Aufklärung“, „Humanismus“ und „Fortschritt“ wenig abgewinnen. Wäre es nicht lohnender den eigenwilligen Mustern zu folgen, wie sie durch transkulturelle Verflechtungen enstehen? Wäre es nicht an der Zeit die pluriversale Geschichte zu erzählen? Eine Geschichte, zu der auch die erheblichen Widerstände gegen das europäische Projekt zählen?

„Mobile Welten“ mündete 2018 in eine Ausstellung im Museum für Kunst und Gewerbe in Hamburg. Die kuratorische Methode war bestimmt durch Improvisation, was die Museumsorganisation hin und wieder an den Rand ihrer Möglichkeiten brachte. Ohne die (gleichermaßen erkämpften wie erduldeten) Freiräume aber hätte sich die Vielstimmigkeit des Teams nicht entfalten können. Dieses Team setzte sich aus den Kustod:innen des Museums zusammen, aus Künstler:innen, politischen Aktivist:innen, Schüler:innen und den Kurator:innen der „Mobilen Welten“. Am Ende des konflikthaften, doch auch glücklichen Prozesses stand eine Ausstellung als „loses Gefüge“.

Die Website „Mobile Welten“ trägt der Form des „losen Gefüges“ Rechnung. Sie liefert keine reine  Dokumentation des Forschungs- und Ausstellungsprojekts, sondern ist als Weiterentwicklung zu verstehen: hin zum digitalen Kuratieren. Das Material (Texte, Bilder und Videos) stammt aus der Ausstellung oder der Recherche, wurde für die Website aber redigiert, angepasst und neu montiert.
Die Website ist bewusst simpel aufgebaut. Es geht (einstweilen) nicht um technologische Offenbarungen, um Gaming, Blockchain, VR und die Versprechen des Interface. Die Frage lautet bescheidener, ob der digitale Raum geeignet, vielleicht sogar prädestiniert ist, um historischen Verflechtungen nachzugehen. Dies ist eine genuin ästhetische Frage. Es geht um Dinge, die in Beziehung zueinander stehen, aber zugleich in der Schwebe bleiben.

Ein letzter Hinweis: Rassistische Objekte, von denen es in den Museumsdepots einige gibt, wurden nur dann in „Mobile Welten“ einbezogen, wenn sie für das Argument unabdingbar waren. Diese Objekte werden verschwommen gezeigt, lassen sich durch eine Mausbewegung aber studieren.

Für mehr Informationen siehe: Über

Verflechtungen

Ein bisschen Ordnung kann nicht schaden. Doch welche Ordnung entspricht der Sammlung? Räume und Zeiten? „Kunst“, „Afrika”, “Handschriften“, „Islam”, “Moderne”? Museen operieren mit solchen Begriffen – das sind die Besucher:innen gewöhnt.
Unsere Ordnung hingegen ist gewöhnungsbedürftig. Sie will den alten Kategorien an den Kragen. „Fruchtbarer Halbmond“ – nie gehört. Und dann „Muster“, „Haare“ oder „Kautschuk“… Wer kann sich darunter etwas vorstellen? Nun, „Moderne“ oder „Kunst“ sind auch nicht viel anschaulicher. Immerhin haben unsere Begriffe den Vorzug, dass man der Ordnung ihr Moment der Willkür ansieht. Es könnte schließlich alles auch ganz anders sein.

Kollaborationen

Für wen ist das Museum da? Für das Publikum, klar, aber wer ist das? Mit Befragungen und Vermittlungsprogrammen versuchen Museen dem Rätsel auf die Spur zu kommen. Und dann? Bleibt vieles beim Alten. Es gibt einen besseren Weg, um das Publikum kennenzulernen: die aktive Teilhabe, und das nicht nur innerhalb des Rahmens, den das Museum vorgibt. Zunächst wäre zu klären, unter welchen Voraussetzungen man überhaupt zusammenkommt.
Wagt das Museum die kuratorische Verantwortung mit dem Publikum zu teilen? Wer lernt von und mit wem? Und wie geht man mit Konflikten um, die immer dann auftauchen, wenn es interessant wird (wenn es um mehr geht als nur “Mitmachen”). „Mobile Welten“ entstand im Austausch mit den Kustod:innen des MKG, mit Künstler:innen, kurdischen Aktivistinnen, einer Schule und vielen weiteren Akteur:innen.